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Mordversuch

Refraktionsstuhl mit Königskrönchen
Der Kunde als König, das war in meinem Laden mehr als nur ein Spruch, aber manche haben das durchaus falsch verstanden und überinterpretiert. Aber wie sagt der weise Chinese: Wer nicht lächeln kann, sollte keinen Laden eröffnen.

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Die junge Kollegin war allein im Laden, aber ausgestattet mit Fachwissen, dazugehörigen Urkunden, angemessenem Selbstbewusstsein und reichlich Empathie.

 

Frau Meier-Behr, ein ebenso langjährige wie anstrengende Kundin, intern „die Meiersche“ genannt, kam diesmal mit dem Wunsch, die Augenglasbestimmung ihres Arztes zu überprüfen. Das sollte selbstverständlich die Chefin machen, und sie sei auch gar nicht gut zu Recht, aber eben jetzt schon mal in der Stadt.
Die freundliche Mitarbeiterin bot ihr einen Termin mit der Chefin für einen anderen Tag an, zumal es ohnehin nicht zielführend sei, eine Augenmessung zu machen, wenn man gesundheitlich angeschlagen ist.
Nein, sie sei jetzt in der Stadt und JETZT sollte auch gemessen werden! Die Refraktion ließ sich schwer an, da die Meiersche immer wieder im Messstuhl einknickte und runterrutschte. Also holte die Optikerin ein Höckerchen, um der Kundin Halt für die Füße anzubieten. Allerdings entglitt ihr das Teil beim Absetzen und schrammte entlang des meierschen Schienbeins zu Boden. Mit einem schrillen Seufzer schien Frau Meier-Behr in Ohnmacht zu fallen. Beherzt lagerte die Kollegin die Beine der Kundin hoch, brachte ein Glas Wasser, entschuldigte sich mehrfach und inspizierte dann vorsichtig die Beine. Nichts zu sehen, gar nichts. Aber natürlich: Weh tun kann es ja trotzdem! Was tun?

 

Telefonisch wurde der meiersche Gatte zum Abholen der schwer Getroffenen bestellt, die schließlich unter Stöhnen, Ächzen und gemurmeltem Wehklagen die Stätte der Misshandlung verließ. Die Mitarbeiterin, die sich schuldig fühlte, meinte gar, Verwünschungen und Flüche darunter vernommen zu haben.

 

Wochenlang hörten wir nichts von der Kundin, und die junge Kollegin begann sich Sorgen zu machen: „Und wenn doch 'was passiert ist?“ Ich zitierte das Sprichwort mit dem Unkraut und versprach, wenn es soweit sei, einen Kranz zur Beerdigung zu schicken.

 

Wenn man vom Teufel redet … am nächsten Tag stand Frau Meier-Behr in ihrer wild-entschlossenen Altdamen-Zartheit im Laden und hauchte: „Ach, Frau Günster, Ihre junge Kollegin hatte ja sooo recht, man soll sich nicht an schlechten Tagen mit komplizierten Sachen belasten.“ Und nach einer kurzen Bedeutungspause resolut: „Jetzt wollen wir aber mal messen.“

 

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